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Die berauschende Kraft der Kunst

Sergej Münch versteht sich als Künstler und Alchemist. Seine Kunstwerke sind durch komplexe Produktionsverfahren individuell hergestellte Wodkas. Seine Materialien sind Spiritus und Wasser; seine Instrumente die Methoden der Vermischung beider Elemente und die so genannte Anreicherung: Wasser wird durch Spiritus und folgend Spiritus durch Wasser angereichert. »Spiritus und Wasser« stehen Sergej Münch für den Erhalt eines sinnerfüllten Lebens. Die Bedeutung des Wassers ist für die Natur und die Menschheit essenziell. Doch der Spiritus scheint auf den ersten Blick nicht lebensnotwendig zu sein. Wenn wir uns jedoch mit der Geschichte der Alchemie und explizit mit der Destillation befassen, werden wir feststellen, dass der Spiritus die geistige Essenz des Korns verkörpert. Korn wiederum steht für das Element Erde und ist das ursprüngliche Material für die Produktion von Brot, dessen höhe Wertschätzung in der Kultur der Menschheit axiomatisch ist. Somit operiert der Spirituosenkünstler Sergej Münch mit der stofflichen Ebene der Elemente Wasser und Erde, die durch seinen konzeptionellen und künstlerischen Ansatz auf die Metaebene gehoben werden. Seine Kunstwerke sind Ideen übertragender Medien, welche durch den Geschmackssinn wahrgenommen und genossen werden können.

Die Definition des Begriffes »Kunst« ist im 21. Jahrhundert beachtlich breit aufgestellt und unterliegt einem ständigen Wandel. Die Abhängigkeit von vielfältigen dynamischen Diskursen der Gegenwart und den sich immer weiter entwickelten Praktiken schliesst eine feste Definition des Begriffes aus. Dabei bleibt der Nucleus einer allgemeinen Kunstdefinition über Jahrhunderte aktuell: Die Kunst wird als eine schöpferische, auf keine bestimmte Funktion zielende Tätigkeit definiert, die auf Wissen, Übung, Wahrnehmung, Vorstellung und Intuition basiert. Mit dem Aufkommen von Medienkunst erweiterte sich der Kunstbegriff seit Joseph Beuys signifikant. Dieser unaufhörliche Prozess verspricht uns die Freude an der Entdeckung von bisher unbekannten Dimensionen der Kunst. Der von Sergej Münch entwickelte Kunstbegriff appelliert an einen für die klassische Kunstwahrnehmung ungewöhnlichen Wahrnehmungssinn – an den feinfühligen Geschmacksinn.

Bei seiner Produktion benutzt Sergej Münch die aus den biologischen und koscheren Rohstoffen - Roggen, Weizen und einer Mischung aus Saisongetreide - gewonnenen Spiritus. Der Düsseldorfer Rabbiner Chaim Barkahn hat bei seinem Besuch des Spirituosen-Ateliers die künstlerische Wodka-Produktion, sowie das Atelier selbst, nach dem Kaschrut Gesetz als koscher zertifiziert. Daraus folgt, dass nicht nur die stoffliche, sondern die metaphysische Ebene von Kunstwerken Sergej Münch’s als koscher angesehen werden können, sodass Sergej Münch als Erfinder und der erste Vertreter von »Koscherer Kunst« gelten darf.

Der Unterschied zwischen den bekannten Künstlern, die mit Spirituosen arbeiten – darunter sind Theo Ligthart und Sebastian Rauscher zu nennen - und dem Spirituosenkünstler Sergej Münch ist offenkundig. Sergej Münch beschäftigt sich nicht mit der künstlerischen Ausarbeitung einer Spirituose umgebenden »Hülle« – der Flasche, sondern die Spirituose selbst wird durch sein künstlerisches Konzept und den konkreten physikalischen Vorgang zur Kunst. Deshalb nennt er sich »Spirituosenkünstler«. Die »Hüllen« oder die »Rahmen« seiner Kunstwerke hält Sergej Münch neutral – das sind ganz schlichte schwarze Flaschen mit einem rubinroten oder hellgelben Etikett mit jeweils individueller Beschreibung, welches die Rolle einer Bildlegende übernimmt. Sein künstlerischer Anspruch besteht darin, die Zusammensetzung und die Struktur einer hochprozentigen Flüssigkeit zu gestallten, sie durch die speziellen Methoden der Vermischung mit Ideen anzureichern, der Spirituose die Schönheit zu verleihen und das Publikum sein Kunstwerk verkosten zu lassen. Die Schönheit wird nicht nur als eine ästhetische Komponente der Kunst verstanden, sondern als eine ihrer zentralen Eigenschaften und Qualitäten. Dieser Anspruch überführt seine Produktgestaltung auf der Ebene einer künstlerischen Auseinandersetzung mit menschlichen Rezeptionsmöglichkeiten und wird somit selbst zur Kunst.

Das Vokabular Sergej Münch’s Kreationen stellen die Vermischungsmethoden und der Prozess der Anreicherung dar. Bei seiner Arbeit »International Klein Blue« aus der Serie »Farben«, überführt er die von Yves Klein im Jahr 1960 erfundene und patentierte Farbe in die flüssige Form eines Wodkas. Dem französischen Künstler ging es darum, eine Farbe herzustellen, die eine besondere Ausstrahlungskraft besitzt, damit der Betrachter sie in sich hinein »aufsaugen« könnte. Der Wodka »International Klein Blue« von Sergej Münch macht das Aufsaugen im wörtlichen Sinne möglich. Er erarbeitet auf der Basis der RGB-Kodierung ein Verhältnis zwischen dem Spiritus und dem Wasser, reichert in dem ersten Vorgang den Spiritus mit dem Wasser in diesem bestimmten Verhältnis an, wiederholt den Vorgang bei dem er nun das Wasser mit dem Spiritus anreichert und mischt in Analogie zur Farbmischung die Ergebnisse beider Vorgänge zusammen. Als Resultat entsteht ein Kunstwerk, welches die Wirkung von International Klein Blue von Yves Klein durch den Geschmack des Wodkas »International Klein Blue« wahrnehmen lässt.

Ein anderes Beispiel ist sein Wodka »Schlucke des Lebens« aus der Serie »Performances«. Bei diesem Werk befasst sich Sergej Münch mit der Definition der Zeit und ihrem Verlauf. Er wendet sich an die Auseinandersetzungen der frühen Alchemisten und an derer Versuche, die Materie neue zu gestalten, um ihre Umwandelbarkeit zu beweisen. Er lässt das Wasser und den Spiritus abwechselnd in eine Flasche hinein tropfen. Jede Sekunde gleicht dabei einem Tropfen. In einer 1/2 Liter Flasche werden insgesamt 20. 000 Tropfen eingesammelt. Dieser Prozess dauert fünfeinhalb Stunden. Die daraus entstehende Spirituose lässt den Zeitverlauf in einer flüssigen, sinnerfüllten Form materialisieren und den Geschmack von jeder vergangenen Sekunde nachspüren. Mit diesem Werk wandelt Sergej Münch nicht die Materie, sondern die Zeit um. Die Vergangenheit löst sich nicht in einem unfassbaren »Nichts« auf, sondern sise wird gesammelt und zum Verkosten dargeboten.

Die gegenwärtigen politischen Verwerfungen analysiert Sergej Münch mit seinem Kunstwerk »BREXIT-WODKA« aus der Serie »Proportionen«. Als Idee seiner Kreation nimmt er das Verhältnis der Stimmen der britischen Bevölkerung des am 23. Juni 2016 stattgefundenen EU-Mitgliedschaftsreferendum. Die Befragung ergab »17 Millionen 410 Tausend und 742 Stimmen« für einen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union und »16 Millionen 141Tausend und 241 Stimmen« gegen den Austritt. Dieses Resultat zeigt sich in dem prozentualen Verhältnis als 51,89% zu 48,11%. Sergej Münch stellt ein Dyptychon her, welches die Wertschätzung jeder Stimme in der Stärke des Wodkas widerspiegelt: »BREXIT-WODKA-48,11/51,89« und »BREXIT-WODKA-51,89/48,11«. Die Erkenntnis, die aus diesem Kunstwerk gewonnen wird, ist die spürbare Stärke der Entscheidung der britischen Bevölkerung »für« bzw. »gegen« den Austritt aus der EU. Die Folgen eines Austrittes für die europäische Geschichte werden sich deutlicher verstehen lassen, wenn der »BREXIT-WODKA-51,89/48,11« mit der Stärke von 51,89% verkostet wird.

Das künstlerische Repertoire Sergej Münch’s erstreckt sich auf ca. 500 unterschiedliche Vermischungsmethoden. Aktiv wendet er momentan 100 davon an. Das Potenzial seiner Anreicherungspalette ist dabei unbegrenzt: Die Ideen, die Vorstellungskraft und die Schönheit der freien Kunst bilden hierfür die Quelle seiner unermesslichen Inspiration.

Durch den partizipatorischen Ansatz der Rezeption seiner Kunstwerke verdeutlicht Sergej Münch die für ihn entscheidende Qualität der Kunst – ihre Zugänglichkeit und ihre Fassbarkeit. Diese Kunst möchte probiert und genossen werden. Die unmittelbare Wirkung seiner hochprozentigen Kunst, die zunächst auf der physikalischen Ebene des menschlichen Körpers verspürt wird, wird durch eine allmähliche Bewusstwerdung auf die Metaebene überführt und wird dabei zu einer berauschenden Erkenntnis.

Prosit! Salute! Cheers! Za zdorovje!

Natalia Gershevskaya, Kunsthistorikerin

Zeitschrift „School of science“ 13 (2019), S. 38 – 39.


Kunstwerke, die man trinken kann.

Sergej Münch bezeichnet sich selbst als "den einzigen Spirituosenkünstler der Welt". Nur mit Spiritus und Wasser erschafft er Gemälde und musikalische Werke, konzeptionelle Objekte und Performances. Für seine Kunstwerke sammelt er Tropfen.... Er behauptet, dass Kunst stark und berauschend sein kann. Er kann gewöhnlichen Wodka in ein Kunstwerk verwandeln und umgekehrt. Er behauptet, eine neue Kunstrichtung entdeckt zu haben – "koschere Kunst". Herr Münch erzählte unserer Redaktion von seinen ungewöhnlichen Werken.

─ Sie bezeichnen sich selbst als Spirituosenkünstler. Was ist das und warum wurden Spiritus und Wasser zum Objekt für die Umsetzung Ihrer kreativen Ideen?

─ Sehen Sie: Manche Künstler malen Farben auf eine Leinwand und es entsteht ein Bild, andere hauen einfach alles Überflüssige von einem Stein weg und es entsteht eine Skulptur, wiederum andere kleben Papierschnipsel auf Pappe und es entsteht eine Applikation. Ich nehme Spiritus und Aqua und.... und entsteht ein Werk in flüssiger Form. Wenn also das Kunstwerk eines Künstlers in Form eines Gemäldes, einer Skulptur, einer Applikation oder z. B. in Form von einer Performance präsentiert werden kann, dann kann ein Kunstwerk auch flüssig sein und aussehen wie eine Spirituose! Und warum Aqua und Spiritus? Dafür gibt es natürlich auch eine Erklärung. Für mich haben diese beiden Substanzen eine heilige Bedeutung. Erinnern Sie sich an die Bibel: „et spiritus ferebatur super aquas“ (Anm. 1. Buch Mose (Genesis) – Kapitel 1 – Vers 2)? Es stellt sich heraus, dass einerseits Aqua die Grundlage allen Lebens auf der Erde ist, und andererseits Spiritus auf Lateinisch „Geist“ bedeutet. Es ist der Traum eines jeden Künstlers, "Leben" und "Geist" auf seiner Palette zu haben! Der Begriff "Spirituose" in meiner Kunst ist also etwas weiter gefasst als das übliche Verständnis.

─ Wann haben Sie damit angefangen?

─ Ich mache das schon seit langem. Es ist nur so, dass ich erst vor kurzem den Mut hatte, mich offiziell zu erklären. Denn das Thema rund um Spirituosen und Alkohol ist archaisch komplex – voller Widersprüche, Klischees und Schüchternheit. Nicht jeder ist bereit, es auf sich zu nehmen. Aber es hat so gut angefangen, nicht wahr?! Im zwölften Jahrhundert hätte man den Alkohol wohl als feuchten Auszug aus dem Stein der Weisen betrachtet und nur tröpfchenweise eingenommen. Und was ist jetzt? Das Thema Wodka wurde so abgenutzt und verschmutzt, dass das Einzige was bleibt "die Raben zu schrecken" (Anm. Zitat aus dem Gedicht von Sergei Jessenin. „Dröhn, Harmonika. Lange... weile...“) ist. Sicher gibt es auch einige Leute, die andere oder sich selbst erschrecken wollen, aber ich persönlich bin kreativ ungeduldig geworden. Ich interessiere mich für einen anderen Unterton, keinen konstruierten, sondern einen reinen aus dem 12. Jahrhundert, der mich dazu inspiriert, Spiritus und Aqua zu nehmen und Tropfen für Tropfen ein Bild zu erschaffen. Das Bild stellt sich dann als fließend heraus. Es ist beweglich. Es setzt sich aus Aqua und Geist zusammen. Genau wie ein Mensch. Die reine Metaphysik. Aber wie sich herausstellte, ist nicht jeder für eine solche Präsentation von Material bereit. Hier gibt es keine Epatage, keinen Protest, keinen Kampf und keine Beschuldigung.

─ Und was ist die Herausforderung, die Sie sich selbst in Ihren Arbeiten stellen? Und wer ist für dieses Thema besonders empfänglich?

─ Meine Erschaffung basiert auf einem sehr starken philosophischen Fundament, das von dem großen deutschen Denker Friedrich Nietzsche errichtet wurde. Kurz gesagt, sagte er es ungefähr so: "Damit die Kunst existieren kann, muss es eine physiologische Voraussetzung geben: die Berauschung." Mit meiner Arbeit visualisiere ich also nicht nur Nietzsches Gedanken, sondern zeige auch deutlich, dass eine Berauschung an der Kunst möglich ist. Und wer das nicht glaubt, der kann einen Schluck eines meiner Werke nehmen. Was die Aufnahmefähigkeit anbetrifft, so sollten ─ um Nietzsches Logik zu folgen ─ nicht die Russen, sondern die Deutschen aufnahmefähiger sein, da sie seiner Meinung nach "die Berauschung verstehen".

─ Zum Teil bezeichnen Sie sich selbst als Alchemisten. Warum?

─ Ich interessiere mich für Alchemie in erster Linie, um etwas über die Welt um uns herum zu lernen. Und das Rezept für die Kognition ist sehr einfach, was ich gerne mit Ihnen teilen möchte: Man muss zuerst das Profane zergliedern, es dann zum Heiligen bereinigen, danach in Kunst verwandeln, und erst dann kann man den Zusammenfluss veranlassen. Bei der Schaffung meiner Kunstwerke versuche ich also, dieser alchemistischen Formel klar zu folgen.

─ Widmen Sie Ihre Arbeit Personen oder Ereignissen?

─ Natürlich widme ich meine Werke Menschen und Ereignissen, und Kunstwerke inspirieren mich auch. Erst kürzlich habe ich zum Beispiel "Symphonischen Wodka" erschafft und es der Erstaufführung des Werks "Rock Symphony" des hervorragenden russischen Cellisten Denis Shapovalov gewidmet. Ich habe alles nach dem Kanon gemacht: Ich habe es geschrieben, aufgeführt, in eine Flasche gefüllt und an Denis als Geschenk verschickt. Zur Inspiration.

─ Welche der Werke, die Sie hergestellt haben, finden Sie am interessantesten? Wie lange dauert die Erschaffung jedes einzelnen Werks?

─ Ich möchte das Stück "Fresh Vodka" hervorheben. Einerseits ist es sehr einfach, andererseits aber auch sehr komplex. Und hier ist der Grund dafür. Ich habe einmal darüber nachgedacht, dass es in unserer Welt so vieles noch nicht frisches bleibt, d. h. auf das der Begriff "frisch" irgendwie noch nie angewandt wurde. Aber es liegt in unserer Macht, die Welt um uns herum frischer zu machen?! Und sogar "frischer als die Frische", wie der russische Dichter Igor Sewerjanin sagen würde. Also beschloss ich, auch meinen Teil dazu beizutragen, und erschuf „Fresh Vodka“. Jetzt gibt es also eine Frische mehr in der Welt! Das ist die Macht der Kunst!

Und was die Zeit angeht, so ist es immer unterschiedlich. Manchmal dauert es eine Woche, um zwei Tropfen zu mischen.

─ Was sind einige der ungewöhnlichsten Aufträge, die Sie erhalten haben?

─ Jeder Auftrag ist immer auf irgendeine Weise ungewöhnlich. Aber ich freue mich immer über die Versuche der Menschen, ihre Liebe auf ungewöhnliche Weise auszudrücken. Deshalb zähle ich natürlich auch "Wodka mit Kuss" zu den ungewöhnlichen Aufträgen. Nachdem ich es einmal gemacht habe, habe ich diese Arbeit schon mehrmals wiederholt.

Stellen Sie sich vor: Wasser ist Leben. Und Leben braucht Liebe – genauso wie Alkohol: flüssig, klar, brühend, stark, wärmend, atemberaubend. Ich nehme das Leben und verdünne es mit Liebe. In verschiedenen Proportionen. In solchen, die Menschen glücklich machen. Und das ist die Kombination aus Liebe und Leben, die die Menschen mit einem Kuss besiegeln. Es ist "Wodka mit Kuss". Es muss doch ungewöhnlich sein, dass ein Mann einen "Wodka mit Kuss" geschenkt bekommt, mit einem Kuss von seiner Lieblingsfrau!

─ Kann man sagen, dass Ihre Kunst ein Versuch ist, vom Problem zurückzutreten und es aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten?

─ Es ist sehr wichtig, dass man sich distanzieren kann, um etwas in einem neuen Licht zu sehen. Wie kann denn ein Russe oder ein Deutscher zum Beispiel den Brexit verstehen? "Ja, ganz einfach", dachte ich, und machte ein Diptychon „BREXIT-Vodka“: mit der Stärke von 48,11% und 51,89%. Jetzt genügt ein Schluck, um zu erkennen, wie stark es war: ob "dafür" oder "dagegen".

─ Sie haben die koschere Kunst erfunden. Was ist das für eine Richtung?

─ Nicht, dass ich sie erfunden hätte, aber ich war offenbar der erste, der zeigte, dass koschere Kunst einen Platz hat. Im Allgemeinen ist der Hintergrund dieses Ereignisses wie folgt. Ich habe ein Werk über den Auszug der Juden aus Ägypten erschaffen, natürlich in meinem eigenen Stil. Vielleicht kennen Sie ein altes jüdisches Sprichwort: „Man kann kein Wasser in einen vollen Krug eingießen“. Genau das gab die Anregung zum Erschaffen dieses Kunstwerkes. Ich stellte mir vor, dass der Krug Ägypten ist. 430 Jahre lang kamen Juden nach Ägypten und befüllten diesen. Ich begann nach und nach den Krug mit Wasser zu befüllen. Irgendwann wurde er voll, und das Wasser, welches die Wände hinunterfloss, verzauberte mich tatsächlich. Zuerst tat mir dieses Wasser leid, welches keinen Platz im Krug finden konnte. Es schien mir ausgestoßen und nutzlos zu sein. Dann sammelte ich dieses Wasser und begann, es mit Hilfe von koscherem Spiritus zu stärken (denn im Lateinischen ist Spiritus Geist), Prozent für Prozent, wie Jahr für Jahr in der Wüste, bis es 40 erreichte! Und am Ende wurde dieses Wasser, das niemand brauchte, dank Geist sehr stark. Und so auch das Volk, das keinen Platz in einem Krug gefunden hat, aber nun endlich die Chance erhält, frei zu sein.

Dieses Werk unterscheidet sich von anderen Werken zu diesem Thema vor allem dadurch, dass man es probieren kann, indem man es trinkt. Sobald Sie den ersten Schluck nehmen, spüren Sie sofort die brennende Glut der Wüste, aber dann breitet sich plötzlich eine gesegnete Wärme in Ihrem Körper aus, wie eine geistige Beteiligung an den Ereignissen, die vor etwa 4.000 Jahren stattfanden.

Um meine Arbeit zu präsentieren und mein Atelier auf die Einhaltung der Kaschrut zu überprüfen, habe ich Rabbi Chaim Barkahn von der Düsseldorfer Gemeinde eingeladen. Und er kam! Ich hoffe inständig, dass diese gemeinsame kreativ-spirituelle Initiative – Künstler und Rabbiner – den Anstoß für Künstler auf der ganzen Welt geben wird, koschere Kunst in all ihren künstlerischen Erscheinungsformen zu erschaffen.

─ Man könnte meinen, dass alles über Wodka schon seit langem bekannt ist. Aber Sie haben sich etwas völlig Neues einfallen lassen. Was ist für Sie also wichtiger: die Idee oder ihr Derivat – Ihr Objekt?

─ Sehen Sie, mein Objekt in Form einer Spirituose ist nur dann entstanden, wenn ich die Idee durch die Kunst umsetzen konnte. Wenn es also keine Idee und keine Inspiration gibt, wird das Objekt nicht entstehen. Alles ist also miteinander verbunden.

─ Entwerfen Sie auch andere Getränke oder Produkte? Und welche ungewöhnlichen Projekte planen Sie außerdem in naher Zukunft?

─ Ich interessiere mich mehr für die innere Gestaltung eines Produkts. Das heißt, das, was für das Auge des Durchschnittsverbrauchers nicht sichtbar ist. Meiner Ansicht nach sollte ein Produkt in erster Linie von innen schön sein, nicht von außen. Schließlich werfen wir selbst die schönste Verpackung weg, statt sie zu essen.

Es gibt viele Ideen für ungewöhnliche Projekte, aber leider sind sie in den meisten Fällen nicht ohne Sponsoring realisierbar. Und es ist nicht einfach, einen Sponsor für eine so spezifische Kunstrichtung zu finden.

─ Sind Sie als Technologe ausgebildet und wie sieht es in Deutschland mit dem Vertrieb solcher Kunstwerke aus? Brauchen Sie eine Lizenz wie für den Verkauf von Alkohol?

─ Ja natürlich, aus technologischer Sicht mache ich alles professionell, denn ich habe einen Abschluss an der Fakultät für Chemie der Technischen Universität und verfüge über eine große Erfahrung in der Entwicklung, Herstellung und Vermarktung von Produkten. Was die Lizenzen betrifft, so muss ich, da man meine Kunstwerke nicht nur betrachten, sondern auch trinken kann, alles im Einklang mit den Rechtsvorschriften für die Herstellung und den Verkauf von alkoholischen Getränken tun.

Natalia Alekseewa.

Monatszeitung „MK-Landsleute“ 1 (2020), S. 30.


Der sakrale Unterton der Kunstwerke ... aus Aqua und Spiritus.

Es gibt diese Kunst!

Am 1. Dezember 2020 wurde der Gewinner des renommierten internationalen Wettbewerbs „Luxembourg Art Prize“ bekannt gegeben. Normalerweise interviewt man die Gewinner von Wettbewerben, aber wir haben beschlossen, diese Regel zu ändern und mit einem der 423 Teilnehmer dieses Wettbewerbs zu sprechen. Vor allem, weil er, wie sich herausstellte, die wohl ungewöhnlichsten kreativen Materialien verwendet, die man sich vorstellen kann. Es geht um unseren Landsmann Sergej MÜNCH.

– Sergej, wir haben Sie ein ganzes Jahr lang nicht gesehen. Was gibt es Neues von dem einzigen Künstler der Welt, der mit Spiritus und Aqua arbeitet und dessen Werke manchmal an das wohl berühmteste russische alkoholische Getränk – Wodka – erinnern?

– Natürlich eine Menge neuer Dinge. Es ist ein ganzes Jahr vergangen. Und für einen kreativen Menschen ist das eine lange Zeit. So habe ich, wie Sie bereits wissen, mit meiner Arbeit an einem internationalen Wettbewerb, dem „Luxembourg Art Prize“ teilgenommen. Es handelt sich dabei um eine jährliche Auszeichnung, die darauf abzielt, neue, unbekannte Künstler zu finden und ihnen zu helfen, sich international bekannt zu machen. Ich meine also Leute wie mich.

– Wie läuft es denn bei Ihnen?

– Wenn Sie das Gewinnen meinen, dann nein, ich habe nicht gewonnen. Aber die Hauptsache ist nicht das Gewinnen, die Hauptsache ist, wie man so schön sagt, die Teilnahme! Vor allem, weil es nicht zu erwarten war, mit völlig neuen Materialien und Techniken, die die Künstler noch nie in ihren Werken verwendet haben, zu gewinnen. Aber der Grundstein ist gelegt. Jetzt wissen hoffentlich die Künstler und auch die Kunsthistoriker, dass Aqua und Spiritus auch geeignete Materialien für Kreativität sind.

Hier habe ich sogar ein Zertifikat bekommen. Darin steht, dass es als Anerkennung meiner Bemühungen, an der internationalen Auswahl für den „Luxembourg Art Prize“ 2020 teilzunehmen, ausgestellt wurde. Und die Mitglieder der künstlerischen Kommission bringen ihre Unterstützung für mich zum Ausdruck und fordern mich auf, "in dieser Richtung weiterzuarbeiten". Nun, ich werde weitermachen.

– Mit welchen Kunstwerken haben Sie teilgenommen?

– Eines der Kunstwerke, das ich für den Wettbewerb eingereicht habe, heißt: „Meine Schöpfung. Der erste Tag.“ Das Material ist natürlich Aqua und Spiritus. Das ist so eine konzeptionelle Sache, mit einem sakralen Unterton, und das ist eigentlich der Ausgangspunkt meiner Schaffung. Beim Prozess der Schaffung des Kunstwerkes bin ich von der Bibel ausgegangen: „et spiritus ferebatur super aquas“ (Anm. 1. Buch Mose (Genesis) – Kapitel 1 – Vers 2). Ich nahm Aqua, fügte Spiritus hinzu und schloss die Flasche. Der Geist schwebt jetzt auf dem Wasser. Man muss nur das Licht einschalten.... Sieht das für Sie wie Wodka aus?

– Nein, natürlich nicht, obwohl die Zutaten im Grunde die gleichen sind.

– Das ist es, was ich meine. In Russland wurde, ohne es zu merken, ein sehr ungewöhnliches Getränk geschaffen, das einerseits ein gewöhnlicher Alkohol ist, ohne besonderen sichtbaren Schnickschnack, oft von geringer Qualität, was in der Tat die Hauptkritik der Verbraucher ist. Fügen Sie jedoch ein wenig Inhalt hinzu, kann es sich wie von Zauberhand verändern, zu einem Kunstwerk werden oder sogar eine heilige Bedeutung erhalten. Eine solche Verwandlung ist anscheinend nur mit Wodka möglich und mit keinem anderen Getränk.

– Warum hat sich Ihrer Meinung nach der Wodka, der früher ein Teil der russischen Feste und eine Quelle des Nationalstolzes war, in ein Produkt verwandelt, das ein Synonym für Krankheit ist?

– Ich glaube, das hat weniger mit dem Wodka als solchem zu tun. Es kommt darauf an, was man mitnimmt, wenn man auf eine Reise geht. Wanderer und Reisende, die Wodka in ihren Rucksack packen, werden während der Reise nicht zu Alkoholikern, denn sie gehen in die richtige Richtung und nehmen etwas mit, was ihnen unterwegs wirklich helfen kann.

Dem Alkoholiker hingegen ist es egal, was er trinkt, er bewegt sich abwärts. Er wählt aus, was ihm zur Verfügung steht. Wenn die Industrie ihm ein billigeres alkoholisches Getränk anbietet, das dem Wodka ähnelt, zieht er es vor. Wenn es nach mir ginge, würde ich den Namen Wodka von den meisten Flaschen ganz entfernen und durch Wodkagetränk ersetzen, um dem Image des Wodkas nicht zu schaden. Denn egal, was man sagt, Wodka ist nach wie vor eines der inoffiziellen Symbole Russlands. Und Symbole Russlands, auch inoffizielle, sollten nicht billig aussehen und von schlechter Qualität sein!

– Können Sie mir ein Beispiel für Ihre Arbeit geben, die einerseits wie russischer Wodka aussehen kann, andererseits aber auch ein Kunstwerk, auch mit sakralem Unterton?

– Ich habe eine Menge solcher Werke. Ich mag generell den sakralen Unterton. Ich vermute, das hat etwas damit zu tun, dass mein Urgroßvater Pfarrer war. Daher kommt übrigens auch mein Nachname.

Es gibt zum Beispiel eine alte Legende: An der Schwelle des Paradieses nahmen Adam und Eva jeweils eine Handvoll Erde. Und aus der Erde, die Adam mit Tränen besprengte, keimte Weizen, und aus der Erde, die Eva mit Tränen besprengte, keimte Hanf. Diese Legende gefällt mir sehr gut. Ich nahm Weizen, Hanf und Wasser, so klar wie eine Träne, und verband sie mit Spiritus. So entstand eine sakrale Bedeutung.

Aber andererseits, wenn man Hanf als Bestandteil von Wodka betrachtet, ist das eigentlich auch sehr russisch. Schließlich assoziierten im 19. Jahrhundert viele Menschen den Geruch von Cannabis mit Russland. Nehmen wir zum Beispiel Iwan Turgenews Novelle "Asja". Darin sind einige herzerweichende Zeilen enthalten: „Plötzlich wurde ich von einem starken, vertrauten, aber in Deutschland seltenen Geruch heimgesucht. Ich hielt an und sah ein kleines Hanffeld am Straßenrand. Der Geruch von Hanf erinnerte mich sofort an meine Heimat und weckte in meiner Seele eine leidenschaftliche Sehnsucht nach ihr. Ich wollte russische Luft atmen, auf russischem Boden gehen.

Die Kombination von Weizen und Hanf in ein und demselben Wodka ist also definitiv russisch. Und ich bin sehr froh, dass es mir gelungen ist, durch meine Arbeit die Aufmerksamkeit auf diese wunderbare Kombination zu lenken. Ich habe es übrigens probiert. Es hat mir sehr gefallen. Und die Salzgurke ist hier völlig fehl am Platz. (Anm. In Russland beißt man nach dem Wodka-Genuss gerne in eine Salzgurke).

– Verwenden Sie oft die Bilder aus Legenden und Literatur?

– Sehr oft! Wodka hat schließlich ein starkes Image – sowohl positiv als auch negativ. Aber ich ziehe es vor, auf eine positive Art und Weise zu arbeiten, damit das Ergebnis positive Gefühle hervorruft. Kürzlich habe ich mich mit Brodsky vergnügt. Zufällig stieß ich auf ein kleines Gedicht, das ich noch nie gehört hatte:

Der Winter. Was werden wir in New York machen?

Er ist kälter als der Mond.

Holen wir uns ein bisschen Kaviar

Und Wodka auf einer aromatischen Kruste….

Wie kann man an einem solchen Bild vorbeigehen, besonders im Winter? Ich habe "Wodka auf einer aromatischen Kruste" gemacht, "ein bisschen Kaviar" genommen und den wunderbaren Joseph Brodsky noch einmal gelesen. Eine ganz andere Wirkung als seine Poesie, sage ich Ihnen.

Und das ist nicht nur eine Laune des Künstlers. Mit meinen Arbeiten versuche ich zu zeigen, dass ein Konsumprodukt wie Wodka auf der Grundlage von Kunstwerken geschaffen werden kann, indem man Symbole und Bilder verwendet und nicht nur Wasser mit Spiritus mischt.

– Welches ist dann Ihrer Meinung nach das geeignetste Thema für Kreativität mit Wasser und Spiritus?

– Zweifelsohne das Thema Liebe. Sie werden mir zustimmen, dass im Alkohol so viel Liebe steckt: Er berauscht, er brennt, er wärmt, er entzündet; er kann sowohl zerstören als auch wiederbeleben. Alles, genau wie die Liebe.

– Ja, solche Bilder sind sehr organisch. Welche neuen Bilder haben Sie denn zum Thema Liebe mit Wasser und Alkohol geschaffen?

– Wissen Sie, ich habe mich immer gefragt, welchen Geschmack Liebe und Ehe haben könnten? Dann habe ich artesisches Wasser genommen, aus denselben Tiefen, aus denen die Liebe entspringt; das Quellwasser, so rein wie die Beziehung zwischen zwei liebenden Menschen; den Weizen und den Roggen so gewählt wie die glücklichen Tage des gemeinsamen Lebens; einen Apfel als Symbol für Liebe und Schönheit; Reis als Zeichen von Reichtum und Fruchtbarkeit; die Rosenblütenblätter als Erinnerung an einen Hochzeitsstrauß. Dies wurde dann in ein harmonisches Verhältnis gebracht, d. h. auf eine Stärke von 38 % vol. So entstand ein Werk, für das ich sogar eine neue Wortschöpfung aus zwei Wörtern erfand: Liebe und Hochzeit. Daraus wurde dann „Lovedding“. Übrigens habe ich dieses Werk meiner Frau Irina gewidmet. Wir sind seit fast 25 Jahren verheiratet.

– Sehr romantisch. Was machen Sie sonst noch so?

– Ich mache eine Menge Dinge. Ich mache zum Beispiel Aquasträuße.

– Aquabouquets? Was ist das?

– Wissen Sie, das Wasser ist in unserem Leben so alltäglich und vertraut geworden, dass wir in der Hitze des Alltags gar nicht mehr daran denken, dass es nicht nur trinkbar oder zur Herstellung von Wodka verwendet werden kann, sondern auch einfach nur schön ist. Und das ist wunderschön. Das ist schön. Das kann uns immer noch überraschen. Deshalb mache ich Sträuße aus den schönsten Mineralwässern aus verschiedenen Regionen. Die Aquabouquets. Und dann binde ich sie mit Spiritus zusammen. Hier ist ein weiteres Beispiel für die Schönheit und den Inhalt, der bei der Herstellung desselben Wodkas festgelegt werden kann. Und schließlich beträgt der Wasseranteil im Wodka idealerweise 60%, genau wie beim Menschen. Können Sie sich vorstellen, wie wichtig das ist?!

– Ja, bei diesem Tempo sollten Sie bald eine Einzelausstellung organisieren.

– Ganz genau! Aber bei einer solchen Ausstellung scheint es unmöglich zu sein, auf einen sogenannten "Verkostungsraum" zu verzichten. Es ist notwendig, dass der Besucher der Ausstellung die Möglichkeit hat, meine Werke nicht nur zu sehen, sondern auch zu probieren. Wenn er es einmal ausprobiert hat, kann er ein Stück meiner Kunst in sich tragen. Und es wird in ihm bleiben, ihn von innen heraus beeinflussen, mindestens zwei Wochen lang, bis es ganz natürlich herauskommt. (Anm. Alkohol wird innerhalb von zwei Wochen aus dem Körper ausgeschieden.) Dadurch wird ein physiologischer Prozess ausgelöst, den ich "Kunstkreislauf in der Natur" nenne. So kann man den Besuch einer Ausstellung in eine Art Performance verwandeln.

– Klingt faszinierend. Was sind Ihre kreativen Pläne, abgesehen von der Ausstellung?

– Das Minimum des Programms ist, dass die Menschen sich von meiner Kunst berauschen lassen sollten.

– Und das Maximalprogramm?

– Programm maximal... Ich möchte, dass die Russen stolz auf ihr Nationalprodukt – den Wodka – sind. So wie die Franzosen zu Recht stolz auf ihren Cognac sind, die Schotten auf ihren Whisky, die Deutschen auf ihr Bier, die Georgier auf ihren Tschacha und die Griechen auf ihren Ouzo.

Ich möchte, dass die Menschen, wenn sie einen Schluck Wodka trinken, erkennen, dass er nicht geschaffen wurde, um sich zu betrinken, sondern dass er Inhalt und Schönheit enthalten kann. Und wenn es Schönheit und Inhalt gibt, dann kann und sollte man auf ein solches Produkt stolz sein.

Natalia Alekseewa.

Monatszeitung „MK-Landsleute“ 1 (2021), S. 24.


Für reine Gedanken!

Russland hat wie jeder Staat seine eigenen Staatssymbole. Einige davon, wie das Wappen, die Flagge und die Hymne, sind in der Verfassung erwähnt. Normalerweise sind jedoch eher inoffizielle Symbole in Gebrauch. Für Ausländer sind z. B. die Balalaika, der Samowar, der Bär und natürlich die Matrjoschka. Die Erwähnung von Symbolen in einem positiven Kontext wirkt sich positiv auf das Image eines Staates aus, in einem negativen Kontext wirkt sie dagegen. Es ist leicht, positiv über russisches Ballett zu sprechen. Aber was kann man schon Gutes über Wodka sagen? Er ist auch ein Symbol für Russland, wenn auch ein inoffizielles! In der Hoffnung, etwas Neues und Ungewöhnliches über Wodka zu erfahren, wandten wir uns an den einzigen Spirituosenkünstler der Welt: Sergej Münch.

─ Sergej, wir wissen, dass Sie aus Wasser und Spiritus ein Kunstwerk erschaffen können. Was können Sie aus Wodka machen, das so ungewöhnlich ist? Etwas, das man von diesem alkoholischen Getränk nie erwarten würde?

─ Würde es Sie überraschen, wenn ich Ihnen sage, dass man die deutsche politische Geschichte mithilfe von Wodka lernen kann?

─ Ist das Ihr Ernst? Natürlich! Wir reden und streiten gerne in unseren Küchen über Politik (Anm.: Zu Sowjetzeiten trafen sich die Freunde abends bei jemandem zu Hause, um in der Küche vertrauliche Gespräche über Politik, den Sinn des Lebens und die Weltordnung zu führen).

─ Ja, das liegt uns im Blut. Es war die Bundestagswahl im September 2021, die mich dazu inspirierte, eine ganze Reihe von unserem Wodka namens "Stark politisiert" zu kreieren, d.h. stark „politisierte“ Wodkas, die den Regierungskoalitionen der Bundesrepublik Deutschland gewidmet sind.

Sehen Sie, der Wodka ist auch nichts anderes als eine Koalition – eine Koalition zwischen Spiritus und Aqua. Und jede Koalition ist auf ihre eigene Weise stark. Neben der Koalition 2021 mit 52% Alkohol können Politikinteressierte nun auch die berühmtesten Parteienkoalitionen der deutschen Geschichte nach ihrer Stärke bewerten. Der "schwächste" Wodka in dieser Reihe war merkwürdigerweise die Koalition von 1949 unter Konrad Adenauer mit 46,8%; der "stärkste" aber war die Koalition von 1990 unter Helmut Kohl mit 54,8%.

─ Die deutschen Politiker hätten erst einmal die Stärke ihrer Koalition probieren sollen, bevor sie den Koalitionsvertrag unterschreiben!

─ Das dachte ich auch. Deshalb habe ich zunächst diesen stark politisierten Wodka als Geschenk an die Vorsitzenden der Parteien der neuen Koalition geschickt. Ich weiß allerdings nicht, ob sie die Stärke ihrer Koalition vor der Unterzeichnung des Koalitionsvertrags gekostet haben oder nicht. Mir persönlich ist ein Wodka mit 52% vol. ein bisschen zu stark. Viel milder ist zum Beispiel die Stärke der Koalition des Jahres 1998 mit Gerhard Schröder mit 47,6%. Aber nach der Tatsache zu urteilen, dass der Koalitionsvertrag zustande gekommen ist, bedeutet das, dass die 52% Stärke nach dem Geschmack der Parteivorsitzenden waren.

─ Gehen wir davon aus, dass dies der Fall ist. Aber überraschen Sie uns weiter! Zum Beispiel treffen sich Menschen bei einer Feier. Auf dem Tisch steht ein unverzichtbares Attribut – eine Flasche Wodka. Was kann an einer solcher Familienfeier mit Wodka neu sein?

─ Was haben alle Familienfeiern gemeinsam?

─ Trinksprüche, natürlich!

─ Völlig richtig! Aber ein klassischer Trinkspruch – auf die Freundschaft, für Glück, auf die Liebe – ist im Grunde nichts anderes als ein Schütteln der Luft (Anm.: Es ist eine russische Aussage, die bedeutet: "etwas umsonst sagen und tun"). Deshalb ist es auch egal, ob man mit Wodka, Champagner oder Wein anstößt. Aber dank des speziellen Wodkas kann man dieser Tradition des Anstoßens einen Sinn geben.

─ Wie geht das?

─ Es gibt Pflanzen, die traditionell in Zeremonien, Ritualen und im Glauben verwendet wurden. Dafür gab es einen Grund. Die Menschen glaubten und glauben immer noch daran. Deshalb habe ich eine ganze Reihe von Wodkas für wichtige Trinksprüche mit bestimmten Pflanzen hergestellt.

─ Welchen Ihrer Wodkas sollten wir dann wählen, um auf die Liebe anzustoßen? In Russland wird ja traditionell mit einem dritten Trinkspruch angestoßen.

─ Auf jeden Fall Wodka mit Lavendel. Denn nach dem Volksglauben ist es Lavendel, der die Liebe anzieht. Hauptsache Sie trinken mit unbekannten Leuten vorsichtig Brüderschaft, sonst erwacht vielleicht plötzlich die Liebe zur falschen Person!

─ Ganz genau. Ein bisschen Vorsicht wäre nicht verkehrt. Haben Sie einen Lieblingstoast, der historisch mit Russland verbunden ist?

─ Natürlich gibt es das. Dies ist ein unverdientermaßen vergessener, meiner Meinung nach, muttersprachlicher russischer Trinkspruch: "Auf reine Gedanken!" Tatsache ist, dass in alten Tagen in Russland in den Gerichten für Gäste gemischte Brennnesseln untergemischt wurden, damit diejenigen, die ins Haus kommen, reine Gedanken haben. Also beschloss ich, diesen Trinkspruch wieder aufleben zu lassen und machte Wodka mit Brennnesseln. Man probiert und jeder am Tisch hat reine Gedanken. Eine ideale Situation für jede Gesellschaft. Ich würde sowohl Politikern als auch Geschäftsleuten generell raten, einen solchen Wodka zu Verhandlungen mitzunehmen.

─ Ich stimme zu. Die reinen Gedanken können bei jeder Verhandlung nicht schaden. Aber was ist die beste Vorspeise zum Wodka?

─ Jede!

─ Und Eis auch?

─ Versuchen Sie Folgendes: Essen Sie zuerst einen Löffel Eiscreme und nehmen Sie dann einen Schluck Wodka. Das ist wirklich eine interessante Kombination. Im Allgemeinen bin ich beleidigt, dass die Feinschmecker ein so perfektes Getränk wie Wodka bisher verweigert haben. Aber eines muss hier klargestellt werden: Wodka ist nicht gleich Wodka. Wissen Sie, aus welchen Rohstoffen der Wodka hergestellt wird, der zuletzt auf Ihrem Tisch stand?

─ Nein, ich habe nicht einmal darüber nachgedacht. Wodka ist Wodka.

─ Ja, im Gegensatz zum Wein hat der Wodka heute einen solchen Ruf. Und das ist schade, denn es gibt eine große Vielfalt an Rohstoffen, aus denen er hergestellt werden kann. In der Zarenzeit in Russland galt es unter den Gutsherren als prestigeträchtig, Wodka für alle Buchstaben des Alphabets zu haben.

Meiner Meinung nach muss ein Wodka für Borschtsch (Anm.: eine Suppe, die traditionell mit Roter Bete und Weißkohl zubereitet wird) und einer für schwarzen Kaviar sich unbedingt unterscheiden. Er muss einfach aus unterschiedlichen Zutaten hergestellt werden, wenn wir genießen wollen und nicht ein universelles Produkt für alle Gelegenheiten konsumieren wollen. Deshalb habe ich beschlossen, dieses Missverständnis zu korrigieren, und eine Serie von SYBARIT-Wodkas für moderne Sybariten entwickelt. Die Besonderheit ist, dass jede Sorte dieses Wodkas für ein bestimmtes Gericht konzipiert ist.

─ Und für Pelmeni haben Sie auch einen?

─ Und für Pelmeni, und für Borschtsch, und sogar für Popcorn.

─ Und für deutsche Gerichte?

─ Na klar. Für Kartoffelsalat, für Bratwurst und und und... Und ich habe neulich ein Interview mit Bundeskanzler Olaf Scholz in der Bild-Zeitung gelesen. Als er gefragt wurde: "Was ist für Sie typisch deutsch?" Er antwortete: "unser Abendbrot". Deshalb habe ich auch einen Wodka für Abendbrot erschaffen. Er ist auch Brot, nur flüssig.

─ Die meisten Menschen sind übrigens der Meinung, dass man Wodka mit etwas zu sich nehmen oder darauf trinken sollte.

─ Nein, nicht immer. Es kommt auf das Gericht an. Der legendäre Fjodor Schaljapin (Anm.: ein russischer Opernsänger) empfahl zum Beispiel, Kaviar zuerst mit Butter zu würzen und dann mit einem Silberlöffel zu essen und dazu Wodka zu trinken. Auch der berühmte französische Schauspieler Jean Marais hat, als er nach Russland kam, seinen Borschtsch gerne mit Wodka getrunken. Anton Tschechow hat einen ausgezeichneten Leitfaden zum Handeln: "Wodka brennt-brennt, er tut im Hals weh, und wenn man eine Auster schluckt, spürt man Wollust im Hals". Fjodor Dostojewski praktizierte im Allgemeinen eine unerwartete Variante. Aus den Erinnerungen: "Er nahm einen Bissen Schwarzbrot und trank ein wenig Wodka aus einem Schnapsglas und kaute alles zusammen".

Übrigens hat die bekannte deutsche Slawistin Theresa Tarassova kürzlich im Deutsch-Russischen Wirtschaftsclub einen Abend zum 200. Geburtstag von Fjodor Dostojewski veranstaltet. Ich habe für diesen Abend Wodka hergestellt und den Teilnehmern angeboten, ihn auf Empfehlung von Fjodor Dostojewski zu probieren. Alle waren begeistert! Am Ende des Abends sagte Theresa Tarassova verträumt: "Wie schön wäre es, solche Abende zu veranstalten: russische Klassiker lesen und Wodka trinken". Eine gute Idee, nebenbei bemerkt!

─ Und zum Schluss noch eine Frage: Was würden Sie unserem inoffiziellen Symbol Russlands – dem Wodka – gerne wünschen?

─ Ein freundliches Wort! Das soll auch nett für den Wodka sein. Erinnern Sie sich, wie in dem sowjetischen Spielfilm "Ist sie eine Wette wert?", als Tossja Kislizyna sagt: "Wissen Sie, wie viele Gerichte man aus Kartoffeln machen kann?". Und der Holzfäller aus Kowrigins Brigade lacht sie aus: "Na, wie viele? Gebraten und püriert". So ist es auch mit Wodka. Solange Wodka in den Köpfen der meisten Menschen auf dem Niveau von "gebraten und püriert" bleibt, werden sie sich weiterhin über ihn lustig machen und ihn nicht für bare Münze nehmen. Ich persönlich liebe aber Bratkartoffeln und Kartoffelpüree. Besonders mit einem gebratenen Kotelett (Anm.: in der russischen Küche saftige flache gebratene Klößchen aus Hackfleisch) und einer Salzgurke; und Sie wissen, was noch dazu serviert werden sollte....

Natalia Alekseewa.

Monatszeitung „MK-Landsleute“ 1 (2022), S. 21.


„Ich nehme den Wodka und haue dann einfach alles Überflüssige weg.“ Künstler Sergej Münch.

Auf die Frage: "Wie entstehen Ihre Werke?", antwortet der Künstler Sergej Münch halb im Scherz, halb im Ernst: „Ich nehme den Wodka und haue dann einfach alles Überflüssige weg.“ Ja richtig, der in Sibirien geborene und heute in Deutschland lebende Sergej Münch ist tatsächlich der einzige Künstler der Welt, der seine Werke auf der Grundlage von, sagen wir "Wodka-Material" erschafft. Das heißt, nicht ein Künstler, der Spirituosen herstellt, sondern speziell ein Spirituosenkünstler. Es geht nicht um das Design der Flaschen, es geht um den Inhalt. Wie der Künstler selbst sagt: "Für mich ist die Flasche selbst wie ein Rahmen für ein Gemälde. Ich nehme Wasser und Spiritus, und Tropfen für Tropfen entsteht ein Bild. Ich meine, ich stelle mir zum Beispiel vor, wenn die Freimaurer die Wände nicht aus Ziegeln, sondern aus Tropfen gebaut hätten, dann könnte man eine solche Wand in eine Flasche stecken und probieren".

Schon nach einer flüchtigen Bekanntschaft mit den Werken des Künstlers fällt auf, wie dankbar sich dieses "Wodka-Material" erweist. Sie werden es nicht glauben, aber um seine Werke zu schaffen, stößt Herr Münch das Wasser in einem Mörser, wartet auf Regen am Donnerstag, schreibt mit einer Heugabel, sammelt Tropfen, die den Stein höhlen und das Fass überlaufen lassen, mischt mit einem Teelöffel pro Stunde.... In seinen Werken finden sich Motive von Malewitsch und Chlebnikow, Blok und Grabar, Sewerjanin und anderen. Er hat die Farbe des essenziellen Inhalts von Wodka abgeleitet und bietet z. B. an, die Stärke der Zahl Pi und der Fibonacci-Folge zu probieren. Erstaunlicherweise macht Sergej Münch nicht nur konzeptionelle Dinge oder Performances, sondern schreibt sogar Sinfonien in flüssiger Form und malt Gemälde; und man kann das alles probieren und... sich daran berauschen... berauscht von solcher Kunst. Aber es ist eine ganz andere Art des Rausches. Völlig unvergleichbar mit dem sinnlosen Wunsch, sich einfach zu betrinken.

Generell ist aus der Sicht von Herrn Münch durchaus ein anderes Konzept der Wahrnehmung der Kunst möglich. Wie der Künstler selbst erklärt: "Meine Künste sind absolut demokratisch: Man kann sie in einen Tresor einschließen, weg von neidischen Blicken, auf ein Regal stellen und bewundern, trinken (allein oder mit Freunden), verschenken, in Smithereens zerschlagen, verdunsten lassen, einfach ausgießen.... Es gibt viel mehr Möglichkeiten als bei den klassischen Kunstwerken. Ich bin generell für Kunst, die konsumiert werden kann – zu jeder Zeit und an jedem Ort, und zwar genau so viel, wie Kunst gerade gebraucht wird."

Ehrlich gesagt, besteht eine paradoxe Situation. Wir als Staat verteidigen vor allen Gerichten das Recht, Russland als das Mutterland des Wodkas zu betrachten; wir stimmen stillschweigend zu, dass Wodka eines der Symbole Russlands ist, aber andererseits behandeln wir ihn so abwertend, dass wir uns selbst beleidigen und zulassen, dass andere uns beleidigen. Heute sind wir nicht stolz auf Wodka – wir schämen uns für ihn. Doch dann taucht plötzlich ein Künstler wie Sergej Münch auf, der nicht durch die empathische Natur dieses Themas die Aufmerksamkeit auf sich zieht, sondern im Gegenteil sorgfältig und intelligent zeigt, dass Wodka schön sein kann und dass in der vertrauten Kombination von Alkohol und Wasser eine tiefe Bedeutung verborgen sein kann. Was sollen wir jetzt tun? Glücklich werden oder traurig?

Es gibt einen reinen "Jessenin"-Effekt: „Das Große zeigt sich aus der Ferne“. Er hat also von Deutschland aus gesehen, was wir in Russland nicht sehen konnten? Wenn Wodka ein Kunstwerk sein kann, dann ist er... schön?! Doch kann er dann immer noch das offizielle Symbol Russlands sein?! Damit es stolz auf Russland sein kann? Sind wir dazu bereit?

Wie auch immer die Antwort auf diese Frage lautet, sie wird nichts an der Situation ändern. Dank der Werke des Künstlers Sergej Münch wurde Wodka auf ein völlig anderes Niveau gehoben, das über das von Cognac oder Whisky hinausgeht. Wie von Zauberhand verwandelte er sich von einem gewöhnlichen alkoholischen Getränk für 3,62 (Anm.: 3,62 Rubel hat eine Flasche Wodka in der UdSSR gekostet) in ein Objekt echter Kunst, nicht in der Form, sondern im Inhalt. Und davon – da muss man zustimmen – wurde es sogar ein bisschen wärmer ums Herz.

Veröffentlicht am 26.10.2019 auf der Internet-Seite der gesellschaftsliterarischen Zeitschrift „Ossijannaja Rus_Beschienener Russland“.


Wodka – ein russischer Brand?

Russland hat seinen Bürgern mit deutschen Wurzeln viel zu verdanken. Doch es gibt noch eine weitere historische Tatsache, die bis heute von niemandem erwähnt wurde. Johann Keller, Georg Christmann, Gotthard Montander, Friedrich-August Natus, Alexander Stritter. Nicht Smirnoff, Petroff oder Schustow, sondern diese Nachnamen standen in der Mitte des 19. Jahrhunderts am Anfang der russischen industriellen Wodkaproduktion. Weiterhin kann man auch die Wodka-Fabriken von Stockmar, Keller, Reumann, Schlipps, Lange, Helle, Bollmann, Sauerbrei, Kopfstahl, Gleinich, Meisner, Blum, von Weimarn, Rosen, Johann Ion und viele andere nennen, die im Zarenrussland aktiv waren. Durch ihre Aktivitäten und die Einführung fortschrittlicher Technologien hat sich der Wodka von der Kategorie der "heimischen" und lokalen Produkte zur Kategorie eines landesweit und nach modernen Standarten hergestellten Massenprodukte entwickelt.

Es ist auch wichtig, an Michael Graf von Reutern zu erinnern, der in seiner Funktion als Finanzminister des Russischen Kaiserreiches, die Zahl von 38,3% vol, die dem Standard der "Polugar"-Stärke in Russland entsprach, 1866 auf die heute berühmten 40% vol aufrundete. Dies geschah nicht nur, um die Berechnung der Verbrauchssteuer zu vereinfachen, sondern auch, um sicherzustellen, dass der Verbraucher mindestens 38% vol des "Polugar" erhielt.

Was kann bekannter als Wodka sein? Aber gleichzeitig gibt es in der Geschichte der Länder kein umstritteneres, „erniedrigtes und beleidigtes“ Symbol als den russischen Wodka. Warum hat dieses inoffizielle Symbol Russlands ein so verderbliches und wenig beneidenswertes Schicksal erlitten? Schließlich gibt es in den Köpfen der Europäer und Russen keine Probleme mit Cognac aus Frankreich, Whisky aus Schottland, Grappa aus Italien, Ouzo aus Griechenland oder Korn aus Deutschland. Diese Spirituosen werden sowohl in Europa als auch in den Herkunftsländern selbst mit Respekt behandelt, um die kulturellen Traditionen zu wahren. Aber Wodka? Sie können selbst einen einfachen Test durchführen: Sprechen Sie in Ihrem Umfeld (egal ob russisch-, deutsch- oder englischsprachig) über Wodka und es wird sofort eine Diskussion über Alkoholismus beginnen. Wenn Sie über Grappa oder Ouzo sprechen, werden die Leute Ihnen mit echtem Interesse zuhören.

Manchmal hat man den Eindruck, dass Russland kurz davorsteht, sein nationales Symbol (wenn auch inoffiziell) zu verlieren. Und heute gibt es alle Voraussetzungen dafür, dass dies auf natürliche Weise und nicht mit Gewalt geschieht: Die russische Gesellschaft selbst hat eine verächtliche Haltung gegenüber dem Wodka und hält es für eine gute Sache, ihn aller Todsünden zu bezichtigen. Und die meisten Europäer verbinden das Thema Wodka sofort mit Alkoholismus und russischem Trinkverhalten und verwechseln die Begriffe "Trinken" und "sich betrinken" und vergessen, dass sie selbst aktiv für Wodkamarken werben, allerdings nur für ihre eigenen.

Grundsätzlich lässt sich schon jetzt feststellen, dass die russischen Hersteller, die in den Kampf um einen Platz auf dem internationalen Wodkamarkt hineingezogen wurden und sich von kulturellen Traditionen gelöst haben, den Kampf um den Wodka praktisch verloren haben. Vergleicht man die Exportvolumina in der Kategorie der traditionellen alkoholischen Getränke, so zeigt sich, dass die Kluft enorm ist: Frankreich exportiert zum Beispiel französischen Cognac im Wert von 3,5 Milliarden Euro pro Jahr, während Russland 26-mal weniger russischen Wodka ausführt ─ für nur bescheidene 130 Millionen Euro pro Jahr! Ein Beispiel: Allein die Wodkaexporte aus Schweden belaufen sich auf 500 Millionen Euro pro Jahr. Und der gesamte internationale Markt für Wodka-Produkte wird von Experten auf etwa 50 Milliarden Euro geschätzt! Nur noch ein wenig mehr und Wodka wird zu einem internationalen Symbol, das allen und niemandem gehört.

Ganz im Sinne dieser Tendenzen und die lauten Stimmen, vor allem aus Russland, dass Wodka im modernen Sinne überhaupt kein russisches Nationalprodukt sei, dass man im alten Russland alles andere als Wodka getrunken habe; deshalb solle man auf Brotwein, Polugar, Siwucha etc. stolz sein. Aber wenn sich herausstellt, dass die Russen den Wodka nicht wirklich brauchen, wenn der Platz des Wodkas in der russischen Kultur von den Russen selbst ausradiert wird, wer sollte dann beleidigt sein? Eine große Sache, ein Markt von 50 Milliarden! Es ist wie in dem sowjetischen Film „Iwan Wassiljewitsch wechselt den Beruf“: "Kemskaja Wolost? Geben Sie es ihm! Das Land wird nicht ärmer werden. Und ich dachte, mein Gott!". Es gibt immer noch Matrjoschka (obwohl europäische Kinder nicht mit diesem Spielzeug spielen), Gschel für Sammler, Chochloma (als Souvenir), auf Klöppeln gewebte Wologda-Spitze für besonders fortgeschrittene Kenner und Pavlovo Posad Schals (nicht für europäische Fashionistas). Es gibt natürlich noch viele andere wunderbare, offizielle und nicht so offizielle Symbole Russlands.... Aber der Verlust des Wodkas als Symbol ist irgendwie besonders schade!

Das unter anderem deshalb, weil kein internationales alkoholisches Getränk so eng mit der Kultur verbunden ist wie Wodka. Selbst wenn wir nur die russische Literatur in Betracht ziehen, sprechen wir von Hunderten von Autoren, Tausenden von Figuren und Werken, in denen Wodka nicht nur als alkoholisches Getränk erwähnt wird, sondern an der Gestaltung des Bildes beteiligt ist: es schattiert, ergänzt oder verändert sogar radikal seine Wahrnehmung. Und wenn Puschkin, Tolstoi, Tschechow, Belinski, Gogol, Nekrassow, Jessenin und viele andere Autoren russischer Klassiker "Wodka" schrieben, bedeutet das, dass sie Wodka im Sinn hatten. Ob es sich technologisch gesehen um Polugar, Brottwein oder Samogon handelt, ist keine Frage für die Kultur, sondern für Historiker und Technologen. Dennoch bleibt zu hoffen, dass selbst bei Vorliegen stichhaltiger Beweise niemand das Risiko eingeht, die Texte von Puschkin und Tolstoi zu korrigieren.

Es wird Sie überraschen, aber es stellt sich heraus, dass der Zauberer Egle, als er Assol in Alexander Grins „Purpursegel“ erzählt, dies zwischen zwei Schlucken Wodka tut. Als Dawydow in Leo Tolstois Roman "Krieg und Frieden" in Anwesenheit von Rostow das berühmte Zitat „Wir schlafen, bis wir keine Liebe finden. Wir sind die sterbliche Hülle... und wenn du liebst, bist du Gott, und du bist rein, wie am ersten Tag der Schöpfung...“ ausspricht, stand in diesem Moment „auf dem Tisch eine Flasche Wodka und lag eine Wurst.“ In Nikolai Nekrassows Poem beginnen die Bäuerlein erst dann zu streiten, "Wer lebt in Russland froh und frei", wenn "Und bald schon ist der Wodka ran, und bald schon ist ein Imbiss ran". In Alexander Puschkins Roman „Dubrowskij“ bietet Kirila Petrowitsch Troekurow an, "Wodka zu trinken, und zuzuhören". In dem Zyklus "Persische Motive" erzählt der Dichter Sergej Jessenin, dass ein Teehausbesitzer ihm "roten Tee statt starkem Wodka" gibt. In seiner Rezension "Die allgemeine Rhetorik von N. F. Koschanskij" polemisiert Wissarion Belinski mit den "Herren-Rhetoren" und verwendet Wodka als Gegenargument. Und in Nikolai Gogols Komödie "Der Revisor" riecht Ljapkin-Tjapkin "ein wenig nach Wodka", weil "seine Mutter ihn als Kind verletzt hat". Alexei Kolzow rät auf scherzhafte Weise, wie man ein Dichter wird: "Trinke Kaffee, Wodka, iss und schlaf." Freiherr Eduard von Toll erwähnt in seinen Tagebüchern, die er während der russischen Polarexpedition von 1900 – 1902 führte, zu deren Aufgaben die Suche nach dem legendären Sannikow-Land gehörte, dass er zur Unterhaltung der Besatzung des im Eis versunkenen Schoners "Sarja" "ein Schneeschuhrennen mit Preisen" veranstaltete. Und als Belohnung versprach er: "Wodka für den ersten Gewinner und Schokolade für den zweiten". Und es gibt Tausende solcher Beispiele aus der russischen Literatur!

Aber nicht alles ist so glatt, wie es auf den ersten Blick scheint. Vergleicht man die Übersetzungen russischer Literatur in andere Sprachen, so ergibt sich ein völlig anderes Bild. In der englischen Übersetzung des Romans „Rudin“ von Iwan Turgenew heißt es, wenn Afrikan Pigassow von Dmitri Rudin spricht, dass dieser nicht "als hätte er bitteren Wodka getrunken“, sondern, als hätte er sich "ein Glas Grog gegönnt". In der englischen Übersetzung von Maxim Gorkis Roman „Die Mutter“ stellt der Vater von Pawel Wlassow, ein einfacher russischer Schlosser aus einer Fabriksloboda, nach seiner Schicht nicht eine Flasche Wodka, sondern eine Flasche Whisky auf den Tisch; in der deutschen Fassung ─ eine Flasche Schnaps. Außerdem stellt sich heraus, dass in Nikolai Ostrowskis Roman "Wie der Stahl gehärtet wurde" in Übersetzung auf Deutsch, der ältere Bruder von Pawel Kortschagin als Lehrling nicht Wodka, sondern Schnaps holen musste.

In Fjodor Dostojewskis Roman „Der Idiot“, ebenfalls in deutscher Übersetzung, bringt Kolja Iwolgin seinem Vater, dem pensionierten General Ardalion Iwolgin, den von seinem eigenen Geld gekauften Branntwein und nicht - wie im Original – Wodka. In Tschechows Tragikomödie "Der Kirschgarten" erwähnt Anton Pawlowitsch im Monolog des Studenten Pjotr Trofimow, der patriotisch mit "Ganz Russland ist unser Garten" beginnt, natürlich Wodka, aber für Deutsche wird er aus irgendeinem Grund mit Branntwein übersetzt. Und es gibt viele solcher Beispiele, wie sich herausstellt!

Es zeigt sich also: Einerseits ist Wodka Teil der russischen Kultur, andererseits existiert er in den Augen der Europäer nicht. Mit russischem Wodka ist es dasselbe: Er scheint auf dem Markt zu sein, aber auf der anderen Seite scheint er auch wieder zu verschwinden. Noch ein bisschen mehr und der russische Wodka wird sich möglicherweise in naher Zukunft als eine Art Anachronismus erweisen, der sich in "Wodka" verwandelt, d. h. zu einem gängigen Begriff für eine der Arten von alkoholischen Getränken mit einem Alkoholgehalt von 37,5 % oder mehr, die nichts mit Russland zu tun haben. Es ist unwahrscheinlich, dass Europa danach aufhören wird, Russland ein "Trinkerland" zu nennen. Aber offenbar wird es dann niemanden geben, der mit Würde sagen kann, wie im sowjetischen Spielfilm "Ein Menschenschicksal": "Ich nasche nicht nach dem ersten Drink."

Sergej Münch

Monatszeitung „MK-Landsleute“ 5 (2018), S. 32.


„Wodka kann schön sein – Spirituosenkünstler bricht mit Klischees" (Onlinezeitung „russland.NEWS“ vom 7.6.2020).

http://www.russland.news/wodka-kann-schoen-sein-spirituosenkuenstler-bricht-mit-klischees/